Von den geheimnisvollen Tritri zur geliebten Tatra
Tritri – so nannte man im 11. Jahrhundert die Tatra, eine mächtige Felsbarriere an der Grenze der damals bekannten Welt. Zumindest dieser Name aus dem Jahr 1086 ist bis heute noch bekannt. In den Geschichtsquellen taucht der Name Tatra allerdings erst 1255 auf.
Die Ungarn nannten die Berge Thorholl, Thorchal, Tutur und Thurthul, Tarczal, die Deutschen – das Schneegebirge, die Ruthenen wiederum Toltry oder Toutry, im Altpolnischen wurde das Gebirge auch als Tartry bezeichnet. Sein Name wurde vom keltischen „Tertre“ (Hügel) oder dem dakischen „Karpe“ (Fels) abgeleitet. Der Dichter Adam Mickiewicz verwendete neben dem Namen „Tatry“ auch an den Begriff „Krępak“. Noch im 19. Jahrhundert war es üblich, Karpak anstelle von Hoher Tatra zu sagen. Obwohl es viele Namen gibt, handelt es sich immer um dieselben malerischen zerklüfteten Bergrücken und die Gipfel, die dem Himmel emporragen.
Nicht nur “Tagebuch einer Reise in die Tatra“
„Die Tatra! rief ich aus, in kindlichem Jubel, in Erstaunen, in Freude, Gott allein weiß, mit welchen Gefühlen. Ich war schon auf der Höhe der Burg Czorsztyn und hatte tatsächlich die Tatra in ihrer ganzen Pracht vor mir" - so lautete die erste Begegnung des Schriftstellers und Dichters Seweryn Goszczyński mit dem mächtigen Schutzwall der himmelhohen Gipfel. Dies geschah am 28. April 1832.
Das Ergebnis dieser Verzauberung war u.a. das spannende „Tagebuch einer Reise in die Tatra“, eine der ersten Touristenfibeln, die in die Region Podhale und in das geheimnisvolle, von Legenden und Mythen umwobene Gebirge reisten. „Die Tatra ist ein Teil der Karpaten, der westlichste Teil des Gebirges. Es ist eine Gebirgsgruppe, die durch ihre Erhabenheit und Wildheit die schönste im Zug der Karpaten ist. - Sie sind fast alle im höheren Teil „nackt“ mit Felsen und mit Eis oder Schnee bedeckt: Hier gibt es bereits Gletscher, die denen der Alpen ähneln. Sie liegen an der Grenze zwischen Ungarn und Galizien", schrieb er. Sein Ausgangspunkt für die Wanderungen in die Tatra war das Haus der Familie Tetmajer in Łopuszna, einem malerisch am Ufer des Flusses Dunajec gelegenen Dorf. Von hier aus reiste er nach Zakopane und in das Kościeliska-Tal, in der Region Podhale.
Stanislaw Staszic: der Vater des Tatra-Tourismus
Obwohl Goszczyński derjenige war, der die Ausflüge in die Tatra populär machte, gilt er nicht als „Vater des Tatra-Tourismus“. Dieser Titel gebührt Stanisław Staszic, der die gefährlichen Pfade in den Jahren 1803-1805 durchquerte. Das Ergebnis dieser Wanderungen war sein Werk „Über die Geburt von Karpaten“.
Was besuchten die Touristen zu dieser Zeit besonders gern? Kuźnice, das Kościeliska-Tal und Morskie Oko. Höher traute man sich damals noch selten. Als Pioniere dessen, was wir heute als extremen Berg- und Kletttourismus bezeichnen würden, gelten die Priester Józef Stolarczyk, der charismatische erste Pfarrer von Zakopane, und Eugeniusz Janota (sein Schüler war u. a. Walery Eljasz-Radzikowski, Autor des ersten Reiseführers über die Tatra – von 1870). Zur Popularisierung der Hochgebirgsexpeditionen in die Tatra trug auch die Tätigkeit von Tytus Chałubiński entscheidend bei.
Große Verdienste in diesem Bereich hat sich auch die Galizische Tatra-Gesellschaft (1873) erworben, 1874 in Towarzystwo Tatrzańskie (Tatra-Gesellschaft) umbenannt. Der Gesellschaft ist auch zu verdanken, dass die ersten Wanderwege markiert und Schutzhütten gebaut wurden: in Morskie Oko im Jahr 1874 und in Roztoka und im Tal der Fünf Polnischen Seen im Jahr 1876.
Schon damals gingen die Menschen mit Bergführern in die Berge. Meistens handelte es sich dabei um die einheimischen Goralen – die bekanntesten und besonders gern angeheuerten hießen Klemens Bachleda (Klimek), Jędrzej Wala der Ältere, Maciej Sieczka, Szymon Tatar, Wojciech Roj.... 1909 wurde der Freiwillige Rettungsdienst von Tatra gegründet; Mariusz Zaruski wurde sein erster Leiter.
Die Tatra kommt immer mehr in Mode. Ihre Weite, ihre Größe, ihr Charme, aber auch ihre Düsternis haben Prosa und Poesie, Malerei und Musik beeinflusst. Die Liste derer, die sich von ihr haben verzaubern lassen, ist sehr lang: Kazimierz Przerwa-Tetmajer, Seweryn Goszczyński, Władysław Orkan, Stanisław Nędza-Kubiniec, Karol Szymanowski, Mieczysław Karłowicz, Wojciech Kilar, Stanisław Witkiewicz....
Von den Kratzern auf dem Rysy-Gipfel bis zur Erbschaft von Kasprowy
Ist der Rysy (Link zur Beschreibung des Rysy) der höchste Berg in Polen? Wo schlafen in der Tatra die Ritter? Woher stammt der Name von Kasprowy Wierch? Wollte man in Kościelec ein Felsengrab für den Sarkophag mit den sterblichen Überresten von Słowacki ausheben? Wo wurde Mieczysław Karłowicz von einer Lawine getötet? Hat es Bruder Cyprian vom Roten Kloster bis nach Morskie Oko geschafft?
All das (und noch viel mehr) erfahren wir, wenn wir auf den Wegen durch die Tatra unterwegs sind. Auf jenen in der Westlichen Tatra, der Hohen Tatra und der Bielskie Tatra (die schon bei unserem südlichen Nachbar jenseits der Grenze liegen). Bemerkenswert ist dabei allerdings, dass von den 785 Quadratkilometern, die das Gebirge bedeckt, nur 175 Quadratkilometer auf polnischer Seite liegen, der Rest in der Slowakei. Sein höchster Gipfel, der zugleich der höchste Gipfel der Slowakei ist, ist der Gerlach (2655 m ü. M.). Dagegen ist der Rysy, bzw. sein mittlerer Gipfel, der 2499 m ü. M. liegt, der höchste Tatra-Gipfel in Polen.
Würde man entlang des Hauptkamms wandern, würde man vom Ždjarer Pass (1081 m ü. M.) im Osten bis zum Hucianska-Pass im Westen (905 m) etwa 80 km zurücklegen. In der Luftlinie ist es 57 km lang: vom Südwesthang des Ostry Kwaczanski Wierch (1128 m ü. M.) bis zu den östlichsten Teilen des Kobyli Wierch (1109 m ü. M.).
Auf der polnischen Seite der Tatra sind 275 km Wanderwege angelegt. So werden alle Fans der Bergwanderungen in der Tatra ihren Weg finden, sowohl jene, die Hochgebirgswanderungen mit Nervenkitzel, Herzklopfen und einem plötzlichen Adrenalinschub bevorzugen als auch diejenigen, die gemütliche Spaziergänge auf einem „flachen“ Weg genießen. Jeder findet auf seinem Weg hohe Felsenblöcke, zerklüftete Grate, zertrümmerte Felsen, Pfade, die in den „Himmel“ emporragen, aber auch malerische, schattige Täler, traumhafte Seen (fast 200 davon wurden gezählt) und riesige Almen. Und vergessen Sie nicht, dass die Gesamtheit dieses außergewöhnlichen Königreichs vom Nationalpark Tatra betreut wird.
Hier sind die beliebtesten und meistbesuchten Tatra-Täler:
⇒ Kościeliska-Tal
⇒ Tal Suchej Wody Gąsienicowej
⇒ Waksmundzka-Tal
⇒ Tal der fünf polnischen Seen
Wir dürfen dabei niemals vergessen, dass wir auf den Tatra-Pfaden nur Gäste sind... willkommene Gäste, aber dennoch Gäste im Haus der Mutter Natur.
Die ältesten Handelswege in der Region Podhale
Ludźmierz, Krauszów, Długopole, Rogoźnik, Nowy Targ, Klikuszowa, Szaflary, Dębno, Łopuszna, Waksmund, Harklowa... – das sind die ältesten Ortschaften in der Region Podhale. Sie wurden bereits im 13. und 14. Jahrhundert in den Urkunden erwähnt, vermutlich aber existierten die meisten von ihnen schon viel früher. Andere Gebiete, die näher an der Tatra liegen, wurden erst viel später besiedelt... Białka Tatrzańska, Bukowina Tatrzańska, Chochołów, Poronin, Kościelisko oder Zakopane sind also einige Jahrhunderte jünger.
Wie kann man also die ältesten Wege der Region Podhale entdecken? Man muss sich in die Täler der Flüsse Czarny Dunajec, Rogoźnik, Lepietnica, Biały Dunajec, Białka und Dunajec begeben. Diese Orte eignen sich auch ausgezeichnet für gemütliche Wanderungen, bei denen man einen Moment verschnaufen kann, aber auch für Radtouren. Das Gelände ist hier nämlich relativ flach, und die Fülle an ungewöhnlichen Attraktionen beeindruckend.
Podhale ist natürlich auch eine malerische Gegend, mit Tausenden von Kilometern an Wander-, Rad-, Reit- und Autorouten, aber auch einer Fülle von Thermal- und Aquaparks, weiten Panoramen und wunderschönen Aussichtspunkten, aber auch Orten, an denen man zu sich selbst finden kann.
Die Gottesmutter von Ludzmierz (Ludźmierzska Gaździna) und ein UNESCO-Juwel
Wenn man in Podhale ist, kann man unmöglich das Sanktuarium der Muttergottes, Königin von Podhale verpassen, die hier liebevoll in der Mundart „Gaździna“ (die Hausherrin) genannt wird. Sie ließ sich an diesem Ort schon vor Jahrhunderten nieder – wovon auch spannende Legenden, schöne Geschichten und Chroniken bezeugen - als der Fluss Czarny Dunajec fast an der Schwelle der damals noch aus Holz gebauten Kirche floss. Hier schlägt das Herz der Region Podhale, hierher pilgern Goralen aus aller Welt, das Sanktuarium wird auch von Touristen gerne besucht, sowohl den gläubigen als auch den weniger religiösen.
Ein weiterer einzigartiger Schatz der Podhale-Region ist die um 1490 erbaute „Räuberkirche“ des Erzengels Michael in Dębno Podhalańskie. Dieses Unikum, eine der wertvollsten Holzkirchen in Małopolska, wurde in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen. In ihrem Inneren können wir nicht nur den prachtvollen Chor und das Kirchenschiff mit schönen und reichen Wandmalereien aus dem 15. und 16. Jahrhundert sehen, sondern auch ein prächtiges spätgotisches Triptychon im Hauptaltar, ein Kreuz und einen Tabernakel sowie einzigartige Zimbeln aus dem 15. Jahrhundert.
Auch ein Besuch in Łopuszna lohnt sich - hier geben die Holzkirche der hl. Dreifaltigkeit und das malerische Landhaus der Familie Tetmajer ihre Geheimnisse preis. Nowy Targ lockt neben seinem ausgezeichneten Speiseeis auch mit einem solchen Schmuckstück wie die Holzkirche St. Anna. Und man könnte noch sehr lange aufzählen…
Mikrokosmos Podhale
Im Lauf der Jahrhunderte hat die Region Podhale, diese kleinen Mikrowelt zwischen der Tatra und dem Gorce-Gebirge, zwischen Pieniny und Beskid Makowski, zwischen Spisz und Orawa, einen schönen Dialekt, einen außergewöhnlichen Gesang, die Klänge der Gipfel und der Räuber, Melodien wie „Ozwodne“ und „Krzesane“ sowie lebhafte Tänze hervorgebracht.
Wir sehen hier die wunderschönen Trachten der Goralen – sowohl für Frauen als auch für Männer. Nicht zu vergessen sind die einzigartige Architektur, die Hinterglasmalereien, die von geschickten Künstlern geschaffenen Holzschnitzereien und das traditionelle Kunsthandwerk. Und als Krönung des Ganzen erobern einfache, wenn auch charaktervolle Podhale-Spezialitäten unseren Gaumen. Die bekanntesten, wie der in der Schäferhütte, hergestellte spindelförmige Käse Oscypek, Bryndza, Bundz, oder Żentyca, Kwaśnica oder Moskole, wie auch die etwas weniger bekannten.
Die Tatra und die Region Podhale sind wie miteinander verwobene Fäden. Jeder ist einzigartig, jeder führt zu einem anderen Ort. Er hat eine andere Farbe, er bedeutet etwas anderes. Zusammen jedoch bilden sie ein wunderbares Kunstwerk. Sie veranschaulichen den Reichtum der Natur, der Folklore, der Verbundenheit mit der Heimat und der Tradition, weisen aber auch auf touristische Attraktionen hin. Ein solcher Reichtum ist sicherlich in keinem anderen Teil Polens zu finden.